10. Mai 2023

Positionspapier

Motion 20.3211 (Damian Müller) «Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung»

Worum geht es?

Die Schweiz ist aufgrund ihrer Grösse nicht in der Lage, sich selbst mit den rund 500’000 unterschiedlichsten Medizinprodukten zu versorgen. Sie ist, wie viele andere Länder auch, auf den Import von Medizinprodukten angewiesen. Bis heute sind in der Schweiz ausschliesslich Medizinprodukte erlaubt, die der europäischen Medizinprodukteregulierung entsprechen und das Kennzeichen CE für Conformité Européenne tragen. 

Das Parlament hat dem Bundesrat am 28. November 2022 mit Überweisung der Motion 20.3211 «Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung» von Ständerat Damian Müller den Auftrag erteilt, das nationale Recht so anzupassen, dass die Schweiz nebst Medizinprodukten mit dem CE-Kennzeichen zusätzlich auch Medizinprodukte aussereuropäischer Regulierungssysteme mit vergleichbar strengen Anforderungen anerkennt, insbesondere Medizinprodukte, die von der U.S. Food & Drug Administration (FDA) für die USA zugelassen werden.

Unsere Position

Swiss Medtech erwartet vom Bundesrat, dass er den Auftrag des Parlaments zügig und pragmatisch umsetzt. Nur so kann die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit sicheren Medizinprodukten in ausreichender Menge nachhaltig gewährleistet werden. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Die Abhängigkeit der Schweiz von Medizinprodukten, die der europäischen Medizinprodukteregulierung entsprechen, ist zu einem Risiko für Patientinnen und Patienten geworden. Es ist deshalb dringend notwendig, dass sich die Schweiz mit der Umsetzung der Motion mehr Handlungsspielraum verschafft, um ausreichend hochwertige Medizinprodukte zur Versorgung ihrer Bevölkerung importieren zu können.

Die europäische Regulierung ist mit der Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) zu bürokratisch und innovationshemmend geworden. Das schwächt den Standort Europa in seiner Wettbewerbsfähigkeit. Swiss Medtech erwartet vom Bundesrat, dass er den Auftrag des Parlaments als Chance nutzt, um den Forschungs-, Innovations- und Wirtschaftsstandort Schweiz mit einer fortschrittlichen Regulierung zu stärken. Dies, ohne sich von der MDR abzukehren, denn die Europäische Union ist unverändert die wichtigste Handelspartnerin der Schweizer Medizintechnik.

Argumente 

Handlungsspielraum zur Beschaffung von Medizinprodukten erweitern
Die Schweiz muss wertmässig rund die Hälfte der Medizinprodukte aus dem Ausland importieren, um ihre Bevölkerung medizinisch zu versorgen. Bis heute dürfen ausschliesslich Medizinprodukte importiert werden, die der europäischen Medizinprodukteregulierung entsprechen, das heisst, das CE-Kennzeichen tragen. Diese Abhängigkeit gefährdet die Versorgungssicherheit in der Schweiz, denn die 2017 in Kraft getretene europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) ist problembehaftet. Ihr Ziel, die Patientensicherheit zu verbessern, droht ins Gegenteil zu kippen: altbewährte Medizinprodukte verschwinden vom Markt, weil sich die aufwändige und teure Re-Zertifizierung unternehmerisch nicht lohnt. In Europa reduzieren die Hersteller deshalb ihr Produktesortiment um durchschnittlich fünfzehn Prozent. Der Mangel an Medizinprodukten manifestiert sich zunehmend.

Diversifizieren, um unabhängiger zu werden
Punktuelle Änderungen der MDR, wie sie die EU im März 2023 in Kraft gesetzt hat, reichen nicht aus, um die grundlegenden Schwächen dieser Regulierung zu beheben. Die negativen Konsequenzen der MDR auf die Verfügbarkeit, Qualität und Innovation von Medizinprodukten sind offenkundig. Sich allein auf das MDR-System zu verlassen, ist angesichts dieser vielschichtigen Probleme unverantwortlich. In dieser Situation muss sich die Schweiz vielmehr von dieser Abhängigkeit befreien, indem sie auch Medizinprodukte anerkennt, die ein bewährtes und sicheres Verfahren wie dasjenige der zentralen US-amerikanischen Zulassungsstelle FDA durchlaufen haben.

Raschen Patientenzugang zu innovativen Medizinprodukten sicherstellen
Die USA haben Europa für Erstzulassungen von Medizinprodukten abgelöst. Immer mehr Unternehmen geben einer FDA-Zulassung gegenüber einer CE-Zertifizierung den Vorrang – europaweit bereits mehr als die Hälfte aller Unternehmen . Als Grund wird der mit der MDR verbundene Bürokratieaufwand genannt, aber auch die Fortschrittlichkeit der FDA, was zukunftsweisende digitale Technologien wie «Artificial Intelligence» und «Software als Medizinprodukt» angeht. Die FDA hat in den letzten Jahren grosse Anstrengungen unternommen, um mit dem technologischen Fortschritt auf regulatorischer Ebene Schritt zu halten. Dies ohne Abstriche bei der Patientensicherheit zu machen. Innovationen, die zuerst in den USA zugelassen werden, gelangen bestenfalls um Jahre verzögert nach Europa. Schon heute werden in der Schweiz entwickelte und hergestellte, innovative Medizinprodukte zuerst in den USA zugelassen. Dieser unhaltbare Zustand benachteiligt die hiesigen Patientinnen und Patienten. 

Schweizer Medtech-Standort stärken
Die MDR schwächt den Forschungs-, Innovations- und Wirtschaftsstandort Europa in seiner Wettbewerbsfähigkeit. Sie bindet personelle und finanzielle Ressourcen, die beim Innovieren fehlen. KMUs und Start-ups können es sich meist nicht leisten, gleichzeitig in Europa und in den USA den Marktzugang zu erlangen. Die Innovation unter der MDR wird deshalb abnehmen. Der parlamentarische Auftrag ist eine Chance, den Medtech-Standort Schweiz mit einer fortschrittlichen Regulierung zu stärken. Dies mit einer positiven Auswirkung auf die gesamte Wertschöpfungskette in der Schweiz, von der Forschung und Entwicklung über die Produktion bis hin zur Vermarktung. Mit rund 1’400 Unternehmen, davon über 90 Prozent kleine und mittlere Unternehmen (KMU), beschäftigt die Branche rund 67’500 Menschen in unserem Land. Die Schweizer Medizintechnik gehört zu den innovationsstärksten der Welt. Es ist im Interesse der Schweizer Bevölkerung, diese Spitzenposition zu behalten.

Sandra Rickenbacher-Läuchli

Mitglied der Geschäftsleitung

Leiterin Public Affairs & Legal Counsel

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