Findige Westschweizer Messerschmiede, praktisch veranlagte Berner Chirurgen und das Präzisionshandwerk der Schweizer Uhrmacher sind nur drei von zahlreichen Traditionslinien der modernen Medizintechnik. Ab den 1950er Jahren entstehen in den Regionen Grenchen-Solothurn und Zürich wichtige Kristallisationspunkte, aus denen seither ein innovativer Zweig der produzierenden Industrie herangewachsen ist. Heute ist die Schweizer Medizintechnik Teil einer global agierenden, hochkompetitiven Hightech-Branche.
Medizintechnik – vom Handwerk zu Hightech
Bild: Chirurg Wilhelm Fabry, Künstler: Bartholomäus Sarburgh (zugeschrieben)
Quelle: Institut für Medizingeschichte der Uni Bern
Der im Waadtland und in Bern tätige Chirurg Wilhelm Fabry entwickelt ein Gerät zur Operation eines Augentumors und weitere chirurgische Instrumente. Fabry gilt damit als Begründer der wissenschaftlichen Chirurgie.
Der Waadtländer Mediziner Jean-André Venel gründet in Orbe (VD) die erste Orthopädieklinik weltweit. Er entwickelt Korsette und Beinschienen zur Behandlung von Rückgratverkrümmungen und Klumpfüssen.
Bild: Joseph-Frédéric-Benoît Charrière, Messerschmied und Instrumente-Entwickler
Quelle: European Urology, Volume 43, Issue 3, Pages 320-322
Der gelernte Messerschmied Joseph-Frédéric-Benoît Charrière wandert vom freiburgischen Cerniat nach Frankreich aus und betreibt dort eine Firma, die – unter anderem Dank Einsatz neu entwickelter Materialien wie Neusilber, rostfreiem Stahl und Gummi – eine grosse Zahl chirurgischer Instrumente und Apparate herstellt.
Bild: Theodor Kocher, Fotograf: Bieber
Quelle: Institut für Medizingeschichte der Uni Bern
Theodor Kocher wird Direktor der chirurgischen Klinik am Berner Inselspital. Der spätere Nobelpreisträger erfindet chirurgische Instrumente wie die bis heute nach ihm benannte Arterienklemme, Narkosemasken, Magen- und Darmzangen sowie Kropfsonden.
Bild: Hermann Sahli, Fotograf: F. Henn
Quelle: Institut für Medizingeschichte der Uni Bern
Hermann Sahli, Direktor der Medizinischen Klinik am Inselspital, stellt am Internistenkongress in Wiesbaden ein verbessertes Hämometer zur Bestimmung des Blutfarbstoffes vor, das in den folgenden Jahrzehnten weltweit Verbreitung findet.
Bild: Abbildung Ophthalmometer
Quelle: Survey of Ophthalmology, Volume 55, Issue 5, Pages 481-497
Der Tüftler Alfred Streit konstruiert in der mechanischen Werkstätte Hermann & Pfister ein verbessertes, elektrisch beleuchtetes Ophthalmometer, mit dem sich Hornhautkrümmung und Brechkraft bestimmen lässt. Es ist eines der Geräte, das den Weg zur heutigen Unternehmensgruppe Haag-Streit Holding AG (Köniz/BE) geebnet hat.
Bild: Berner Arzt Fritz de Quervain, Fotograf: A. Teichmann
Quelle: Institut für Medizingeschichte der Uni Bern
Ein mobiler Operationstisch gewinnt den Grand Prix an der Weltausstellung in Paris, den der Berner Arzt Fritz de Quervain mit entwickelt hat. Die Operationstische begründen zusammen mit Sterilisationsanlagen für Spitäler den Erfolg der noch heute bestehenden Schaerer Medical AG (Münsingen/BE).
Bild: Schematische Darstellung Gehörgang
Quelle: Shutterstock
Gründung der AG für Elektroakustik in Zürich unter Beteiligung des gelernten Kaufmanns Ernst Rihs. Die Firma entwickelt verschiedene Generationen von Hörgeräten und wächst in den 1960er und 1970er Jahren stark und firmiert seit 1977 als Phonak. Sie ist heute Teil der Sonova Holding AG in Stäfa (ZH), der weltweit grössten Herstellerin von Hörsystemen.
Bild: Straumann Werkstatt in Waldenburg in den 1950ern
Quelle: Institut Straumann AG
Reinhard Straumann gründet in Waldenburg (BL) ein nach ihm benanntes Forschungsinstitut. Dank seines Know-hows bei nichtkorrodierenden Legierungen wird das Unternehmen später zuerst zu einem führenden Hersteller von Osteosynthese-Implantaten – und ab 1990 dann zu einer Spezialistin für Dentalimplantologie (Straumann Holding AG, Basel).
Bild: Ärzte der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen
Quelle: Copyright by AO Foundation, Switzerland
Eine Gruppe von Chirurgen gründet die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) mit dem Ziel, Knochenfrakturen künftig operativ mit Implantaten zu versorgen (statt mit Gips und Streckbehandlung). Die AO gibt – unter anderem durch die Zusammenarbeit mit dem Unternehmer Robert Mathys aus Bettlach (SO) – wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Schweizer Medizintechnik.
Bild: Chirurg Maurice E. Müller, Fotograf: Peter Friedli
Quelle: Institut für Medizingeschichte der Uni Bern
Der Chirurg Maurice E. Müller gründet die Protek AG. Mit dieser und weiteren Geschäftsaktivitäten verfolgt er die Weiterentwicklung von Hüftgelenkprothesen. Aus einer Zusammenarbeit mit Sulzer geht das Sulzer-Hüftgelenk hervor, wie es im Volksmund heisst.
Das Nordamerika-Geschäft der Firma Straumann wird unter dem Namen Synthes abgespalten – nur ein Beispiel für die internationale Expansion der Schweizer Medizintechnik, die bereits in den 1960er Jahren Fahrt aufgenommen hatte. Der Berner Hansjörg Wyss macht das Unternehmen zu einem grossen Implantate-Hersteller.
Bild: Andreas Roland Grüntzig, Arzt, ca. 1978
Quelle: RDB/ullstein via Getty Images
Der deutsche Kardiologe Andreas Grüntzig führt am Universitätsspital Zürich mit einem selbst entwickelten Ballonkatheter erstmals eine Dilatation (Erweiterung) verengter Herzkranzgefässe durch. Die Erfindung wird durch die Firma Schneider auf den Markt gebracht, die 1998 im Boston Scientific-Konzern aufgeht – während der Produktionsstandort in Bülach (ZH) später von der deutschen Kardiologie-Firma Biotronik übernommen wird.
Vier Schweizer Ingenieure gründen die Firma Tecan, die heutige Tecan Group AG in Männedorf (ZH). Sie entwickelt und produziert Laborautomaten für die Anwendung in Biopharma, Forensik und klinische Diagnostik.
Bild: H-Tron Insulinpumpe Disetronic aus den 1980ern
Quelle: Ypsomed AG
Die Brüder Willy und Peter Michel gründen in Burgdorf (BE) die Firma Disetronic, die unter anderen neuartige Insulinpumpen zur Behandlung von Diabetes entwickelt. 2003 wird das Unternehmen aufgespalten: Der Bereich Infusionssysteme verstärkt im Roche-Konzern die Division Diagnostics, einem führenden Anbieter sogenannter In-vitro-Diagnostika. Aus dem Geschäftsfeld Injektionssysteme entsteht die heutige Ypsomed Holding AG (Burgdorf/BE).
Bild: Röntgenaufnahme von Herzschrittmacher in Brust
Quelle: Richman Photo via Shutterstock
Der Medtronik-Konzern (Dublin/Irland) eröffnet in Tolochenaz (VD) eine Produktionsstätte für implantierbare Herz- und Hirnschrittmacher. Hier wird heute jeder fünfte Herzschrittmacher gebaut, der weltweit implantiert wird. Der Standort – einer von vier in der Schweiz – dient zugleich als europäisches Ausbildungszentrum für Ärztinnen und Ärzte.
Nach einer wechselhaften Geschichte wird das Unternehmen Sulzer Medica von der amerikanischen Zimmer Ltd. übernommen – damit endet ein Stück Schweizer Medizintechnikgeschichte, das 1970 begonnen hatte, als Medizintechnik beim Maschinenkonzern Sulzer zu einer eigenständigen Abteilung geworden war.
Der US-amerikanische Mischkonzern Danaher Corporation übernimmt das schwedisch-schweizerische Zahnimplantate-Herstellerin Nobel-Biocare (Kloten/ZH).
Bild: Logo Schweizer Medizintechnikverband Swiss Medtech
Quelle: Swiss Medtech
Swiss Medtech wird durch Zusammenschluss von zwei Verbänden als Verein mit Sitz in Bern gegründet. Als Branchenverband vertritt er die Interessen der Schweizer Medizintechnikindustrie.